November 5, 2015 | Internationale Politik
Panzer auf der Landebahn
Bei seiner Antrittsrede vor den iranischen Revolutionsgarden am 16. September 2013 schlug der neu gewählte Präsident Hassan Rohani den versammelten Kommandeuren einen Deal vor: Die Revolutionsgarden sollten sich nicht in die Politik einmischen; im Gegenzug würde seine Regierung ihr die Weiterführung ihrer lukrativen Wirtschaftsunternehmen gestatten. So recht gehalten hat sich keine der beiden Parteien an ihr Versprechen: Führende Befehlshaber der Garden haben Rohanis diplomatische Öffnung gegenüber den USA und seine Nukleardiplomatie kritisiert. Und die Regierung hat ihr Bestes getan, um die Revolutionsgarden aus der Wirtschaft zu drängen.
Allerdings hat Rohani kürzlich seine Strategie geändert, um das in Wien unterschriebene Atomabkommen nicht zu gefährden. Mitte September 2015 lud er die Führung der Revolutionsgarden ein, sich aktiv an der Entwicklung des Landes zu beteiligen. Ein Schritt, der zeigt, dass der Präsident versucht, die Garden einzuhegen. Doch dieser Strategiewechsel ist eine riskante Angelegenheit: Die Revolutionsgarden werden das Angebot wohl annehmen, aber das wird sie kaum davon abhalten, weiterhin Stimmung gegen das Abkommen zu machen. Das unterminiert nicht nur Rohanis Autorität, es bedroht auch das langfristige Engagement der Islamischen Republik für das Abkommen. Die Geschichte der gescheiterten Bestechungsversuche, mit denen man die Revolutionsgarden von der Politik fernhalten wollte, ist lang. Das sollte Rohani eine Lehre sein.
Weitreichende Möglichkeiten
Die Rolle der Revolutionsgarden in der iranischen Wirtschaft ist in der Verfassung festgeschrieben. In Artikel 147 der Verfassung, die am 24. Oktober 1979 per Referendum angenommen wurde, heißt es, dass „die Regierung gehalten ist, das Personal und das technische Equipment der Armee in Friedenszeiten für Hilfsprogramme, für Bildungs- und für Produktionszwecke zu nutzen“. Dieser Gedanke taucht auch im Gründungsstatut der Revolutionsgarden wieder auf, das am 6. September 1982 vom Parlament bewilligt wurde. Die weitreichenden Möglichkeiten der Revolutionsgarden, in Friedenszeiten eine aktive Rolle in der Wirtschaft spielen zu können, sind das Resultat heftiger Machtkämpfe zwischen ihnen und ihren parlamentarischen Unterstützern auf der einen Seite, und den Vertretern der Politik auf der anderen Seite, die den wachsenden Einfluss der Garden mit Sorge betrachteten. Interessanterweise waren es insbesondere Ali Akbar Hashemi Rafsandschani, in den achtziger Jahren Präsident des Parlaments, und sein Novize, ein junger Parlamentarier namens Hassan Rohani, die versuchten, dem wachsenden Einfluss der Garden entgegenzutreten. Ohne Erfolg. Über die Jahre gelang es den Revolutionsgarden, den rechtlichen Rahmen für ihr wirtschaftliches Engagement immer mehr auszuweiten – weiter, als die Väter der Verfassung der Islamischen Republik es sich jemals hätten erträumen können.
Zweifrontenkrieg
Das erste Jahrzehnt der Islamischen Republik war eine turbulente Zeit, in der vieles zusammenkam: die Revolution, die paranoide Angst vor einer Gegenrevolution und die irakische Invasion des Iran am 22. September 1980. Ängste und Bedrohungen, die sich die Eliten der Revolution geschickt zunutze machten, um ihre Herrschaft zu festigen.
Die Revolutionsgarden verbrachten den Großteil des Jahrzehnts mit einem Zweifrontenkrieg: mit der Unterdrückung politischer Dissidenten im Inland und mit der Abwehr des irakischen Aggressors an den Grenzen. Gleichzeitig machten sich die Garden die chaotischen Verhältnisse zunutze, um auf Regierungsebene so viele ihrer Wirtschaftsinteressen durchzusetzen wie möglich.
Es gelang den Revolutionsgarden rasch, die Kontrolle über die iranische Rüstungsindustrie zu übernehmen, die der Schah aufgebaut hatte, um die Abhängigkeit von Überseeimporten zu begrenzen. Flaggschiff der Rüstungsindustrie war die „Organisation für Militärindustrien“, unter deren Dach u.a. die „Iranischen Elektroindustrien“ und die „Iranische Gesellschaft für Hochtechnologie“ vereinigt waren.
Die Übernahme der Firmen durch die Garden fand zu einem Zeitpunkt statt, als eine Mehrheit der Staaten aufgrund des Irak-Krieges ein Waffenembargo gegen den Iran verhängt hatte. Dessen ungeachtet gelang es Teheran, Waffen von regionalen Verbündeten, vom Schwarzmarkt und im Zuge der Iran-Contra-Affäre zu beschaffen. Um den Krieg zu überstehen, musste das Land dennoch seine eigenen Waffen herstellen. Die heimische Rüstungsproduktion der Revolutionsgarden füllte die Lücke. Wie wir sehen werden, war es die Rüstungsindustrie, die den Garden den Weg ebnete, um nach dem Krieg Konsumgüter zu produzieren.
Mit Fortdauer des Krieges mussten die Revolutionsgarden auf die wachsende Nachfrage ihrer Mitglieder nach Unterkunft, Darlehen und Krediten reagieren. Die Garden richteten Mikrobanken wie das Ansar-al-Mudschahedin-Kreditinstitut ein, das zinsfreie Darlehen an Kriegsveteranen und ihre Familien vergab. Diese Banken schufen die Grundlage für die heutige Finanzinfrastruktur der Revolutionsgarden.
Die neuen Privilegien verteidigen
Am 20. Juli 1988 akzeptierte Großayatollah Ruhollah Khomeini wiederwillig einen Waffenstillstand zwischen dem Irak und dem Iran auf der Grundlage der Resolution 598 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Nun wurde offensichtlich, wie inhaltsleer die Kriegspropaganda mit ihren Parolen wie „Krieg, Krieg bis zum Sieg“ und „der Pfad der Befreiung von Quds [Jerusalem] geht durch Karbala [im Irak]“ war. Die politische Führung in Teheran witterte Meuterei und Gefahr, und so lud Rafsandschani die Revolutionsgarden ein, sich beim Wiederaufbau des Iran einzubringen.
„An Entwicklungsprogrammen mangelte es uns damals nicht“, erklärte Rafsandschani Ende 2014 rückblickend in einem Interview, „aber es fehlten die heimischen Auftragnehmer. Die Konkurrenz war überschaubar, und die Preise waren hoch. Als stellvertretender Befehlshaber des Militärs bat ich die Armee und die Polizei, all ihre Ingenieursfähigkeiten einzubringen, um sich am Wiederaufbau zu beteiligen.“ Was Rafsandschani nicht erwähnt, ist das stillschweigende Abkommen zwischen der geistlichen Führung und den Revolutionsgarden: Rafsandschani versuchte, die Garden mit Regierungsaufträgen für den Wiederaufbau nach dem Krieg zu bestechen. Der Gewinn solcher Aktivitäten würde in die Finanzinstitutionen der Revolutionsgarden fließen. Im Gegenzug sollten sich diese aus der Politik fernhalten.
Die Revolutionsgarden akzeptierten Rafsandschanis Angebot. Aber als sich die Gewinne ihrer Banken und sonstigen Finanzinstitutionen häuften, fühlte sich deren Führung weiter motiviert, in der Politik zu intervenieren. Sie wollte die neu gewonnenen wirtschaftlichen Privilegien verteidigen.
Diese Privilegien waren beträchtlich. So schufen die Revolutionsgarden die „Khatam al-Anbia“-Holding, die von einem Rat geleitet wird, dessen Vorsitz der Befehlshaber der Garden innehat. Seit den neunziger Jahren ist Khatam al-Anbia der größte Auftragnehmer im Iran. Auf der Webseite des Unternehmens rühmt man sich tausender staatlicher Aufträge, von Großprojekten wie Staudämmen, Autobahnen, Brücken und Bahnstrecken bis hin zu industrieller Produktion, Krieg, Gas- und Öl-Pipelines. Gleichzeitig begann die Organisation der Verteidigungsindustrien, die nach der Revolution von den Garden übernommen worden war und am Ende des Irak-Krieges 1988 mehr als 65 000 Angestellte zählte, ihre Produktion von Militärgütern auf Konsumgüter umzustellen. Dabei konzentrierte man sich insbesondere auf die Elektround Kommunikationsindustrie.
Diese Umwandlung war aus Sicht der Revolutionsgarden überaus sinnvoll. Heute werden einige der fortschrittlichsten Technologievorhaben der iranischen Wirtschaft unter der Ägide der Revolutionsgarden und im Rahmen der iranischen Rüstungsindustrie durchgeführt. Die Garden monopolisieren den Transfer von Hightech zu Anwendungsmöglichkeiten für Endverbraucher und produzieren Computer, Scanner, Telefone und Sprechanlagen, Handys und SIM-Karten. So bleibt kaum Platz für private Hersteller und Dienstleister.
Das Ende der Präsidentschaft von Rafsandschani und der Übergang zu Präsident Mohammad Khatami 1997 trugen nicht dazu bei, den Prozess der Übernahme der iranischen Wirtschaft durch die Revolutionsgarden zu bremsen. Im Februar 2002 etwa gewann das größte an der US-Börse notierte türkische Unternehmen, die Mobilfunkfirma Turkcell, die Ausschreibung für die Errichtung eines zweiten Mobilfunknetzes im Iran. Damit wäre das staatliche Monopol im Telekommunikationssektor gebrochen gewesen. Die iranische Regierung begrüßte das Ergebnis; die Vertreter der von den Revolutionsgarden gelenkten „Iranischen Elektroindustrien“ und die „Stiftung der Unterdrückten“ – eine unabhängige Finanzinstitution unter Leitung eines ehemaligen Garden-Kommandeurs – machten sich allerdings bald daran, eine Reihe von rechtlichen und praktischen Hürden zu errichten. Das zwang die türkischen Investoren zum Rückzug vom iranischen Markt.
Der nächste Tiefschlag für die Regierung Khatami erfolgte Anfang Mai 2004, als die Eröffnung des Imam Khomeini International Airport durch Verkehrsminister Ahmad Khorram anstand. Der neue Flughafen war als Vorzeigeprojekt gedacht. Im Rahmen seiner Bemühungen, internationale Investoren anzulocken, hatte das Verkehrsministerium den Betrieb des neuen Flughafens an ein österreichisch-türkisches Konsortium vergeben.
Das erste Flugzeug, das landete, war eine Maschine der Fluggesellschaft United Arab Emirates. Doch schon das zweite Flugzeug musste den Landevorgang abbrechen, da die Revolutionsgarden Panzer auf der Landebahn hatten auffahren lassen. Mitglieder der Garden stürmten den Kontrollturm und machten unmissverständlich klar, dass künftig sie selbst, nicht ausländische Unternehmen, den Flughafen managen würden. Der Einsatz solch radikaler Methoden zeigte Wirkung: Die bestehenden Verträge wurden gekündigt und die Leitung des Flughafens an die Revolutionsgarden vergeben.
Ära der Ausbeutung
Der Aufstieg von Präsident Mahmud Achmadinedschad im Jahre 2005 bot den Revolutionsgarden die Möglichkeit, die iranische Wirtschaft ganz offen zu plündern. Die Rhetorik Achmadinedschads und das umstrittene Atomprogramm lösten Sanktionen gegen die iranische Wirtschaft aus und schreckten ausländische Firmen davon ab, die lukrativen Öl- und Gasfelder des Landes zu erschließen. In diese Lücke stießen die Unternehmen der Revolutionsgarden.
Am 15. März 2010 erteilte das Ölministerium Khatam al-Anbia ohne jede Ausschreibung einen Auftrag für ein 850 Millionen Dollar teures Pipeline-Projekt. Einen Monat später zogen sich die beteiligten türkischen Firmen vom South Pars Öl- und Gasfeld zurück – erneut erhielt Khatam al-Anbia ohne Ausschreibung den Zuschlag für das Sieben-Milliarden-Dollar-Projekt. Und als dann auch noch die britisch-niederländische Firma Shell und die spanische Firma Repsol aus dem South Pars Öl- und Gasfeld ausstiegen, vergab das Ölministerium das Fünf-Milliarden-Dollar-Projekt ohne Ausschreibung an das Khatam-al-Owsia- Konsortium, ein Unternehmen der – man ahnt es schon – Revolutionsgarden.
Noch bemerkenswerter verlief der triumphale Einstieg der Revolutionsgarden an der Teheraner Börse während der Ära Achmadinedschads. Im Jahr 2005 verabschiedete der Oberste Geistliche Führer Ali Khamenei eine Direktive, die eine Verschlankung des Staatsapparats vorsah. Sie trat Ende Januar 2008 in Kraft. Die Direktive bedeutete die Privatisierung öffentlicher Vermögenswerte im Umfang von 110 bis 120 Milliarden Dollar. In Wahrheit wurden die meisten der öffentlichen Güter von den Revolutionsgarden erworben. Mit dem Kapital, das sie während der neunziger Jahre angehäuft hatten, übernahmen die Garden die Kontrolle über privatisierte Unternehmen, die an der Teheraner Börse gehandelt wurden.
Vor diesem Hintergrund sind die Versuche Rohanis zu sehen, die Revolutionsgarden aus der Wirtschaft zu drängen – eines seiner wichtigsten politischen Vorhaben. Rohani begann damit, die unvollendeten Projekte der Ära Achmadinedschad, wie die letzten Phasen des South-Pars-Gasfelds, zu hinterfragen. Und in der Tat konnte die Begeisterung, mit der der Präsident die Projekte als Erfolgsgeschichten angepriesen hatte, nicht darüber hinwegtäuschen, dass es an Pipelines, Plattformen, Brunnen und Raffinerien mangelte. Das wirkliche Ziel der Kritik Rohanis war natürlich der Auftragnehmer der Revolutionsgarden, die Khatam al-Anbia-Holding.
Die zweite Runde der Attacken gegen die Garden leitete der Parlamentarier Ahmad Tavakoli ein. Er beschuldigte sie, den privaten Sektor mit unfairen Mitteln auszubooten – angesichts des Vorgehens der Garden zweifellos ein berechtigter Vorwurf. Tavakoli forderte eine starke staatliche Reaktion zur Behebung des Problems. Die Revolutionsgarden reagierten mit der Mobilisierung ihrer parlamentarischen Unterstützer gegen Rohanis Kandidaten für die Leitung des Ölministeriums, Bizhan Namdar Zangeneh. Nach einer heftigen Auseinandersetzung gelang es Zangeneh nicht nur, ein parlamentarisches Vertrauensvotum zu bekommen, er nutzte die Gelegenheit auch, um öffentlich zu machen, dass die Oriental Oil Company in Wahrheit im Besitz der Revolutionsgarden sei – eine Behauptung, die von den Garden zurückgewiesen wurde. Aufgrund des öffentlichen Kreuzfeuers sahen sich die Befehlshaber der Garden gezwungen, im Fernsehen zu erklären, dass sie nicht mit dem privaten Sektor konkurrierten. Außerdem schworen sie Loyalität und Zusammenarbeit mit dem Kabinett von Rohani.
Aber die Schlacht war noch nicht vorbei. Rohani strich wichtige Straßenbauprojekte der Khatam al-Anbia, und die Revolutionsgarden wurden gezwungen, den Besitz der „Marine-Industrie-Kompanie“ aufzugeben. Die Garden waren alles andere als begeistert. Sie beklagten, ins Abseits gestellt worden zu sein; einige Beobachter gehen sogar davon aus, sie seien verantwortlich für den Mord an Safdar Rahmatabadi, Rohanis Vizeminister für Industrie und Handel. Trotz kleiner Erfolge dämmerte es Rohanis Beratern, dass sie die Revolutionsgarden nicht vollständig aus der Wirtschaft würden drängen können. Akbar Torkan, ein enger Berater des Präsidenten, versuchte vergeblich zu verhindern, dass die Garden die Ausschreibung für den Bau von Hafenanlagen auf iranischen Inseln im Persischen Golf gewannen. In einem Interview gab er Ende September 2014 zu: „Wir können uns nicht mit Khatam al-Anbia messen.“
Ein Jahr später, im September 2015, änderte Rohani seine Taktik, weil er den Widerstand der Garden gegen das Atomabkommen fürchtete. Er lud sie ein, „die iranische Wirtschaft zu entwickeln“, oder, mit anderen Worten: die Vorteile aus der Aufhebung der Sanktionen zu nutzen. Der Strategiewechsel könnte signifikante Auswirkungen auf die Machtbalance im Iran haben: Mehr Geld für das Wirtschaftsimperium der Garden bedeutet gleichzeitig die Möglichkeit, mehr Kunden und damit Kontrolle über die politischen Eliten des Landes zu gewinnen. Das könnte zu einer weiteren Schwächung von Rohani, seinem Technokratenkabinett und den „Basaris“, der reichen Kaufmannsklasse mit substanziellem Einfluss, führen. Viel schlimmer noch: Die Garden werden das Atomabkommen nicht öffentlich unterstützen. Vielmehr werden sie das Abkommen irgendwann offen ablehnen, auch wenn es dann schon von der Regierung angenommen und vom Parlament ratifiziert worden sein sollte. Das gefährdet die Langlebigkeit des Abkommens fundamental.
Rohani scheint nicht aus Rafsandschanis Fehlern gelernt zu haben. Begierig, einen Erfolg des Atomabkommens zu erreichen, hat der Präsident bereitwillig die potenziellen wirtschaftlichen Vorteile des Abkommens an genau die Institution abgegeben, die der größte Gegner des Abkommens und der Regierung ist.